Sterben Coronapatienten auch an falscher Beatmungstechnik? Ein am Samstag veröffentlichtes Statement des Verbandes Pneumologischer Kliniken (VPK) lässt dies vermuten.
Vielleicht zur Einordnung. In der Medizin dauert es leider oft, bis sich bessere Behandlungen durchsetzen. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist das Drama um Ignaz Semmelweis und die von ihm entdeckte fehlende Hygiene im Rahmen einer Geburtsbetreuung, die die extrem hohe Sterberate im Wochenbett verursachte. Allen Menschen, nicht nur Ärzten, fällt es manchmal schwer, von Gewohnheiten, die sich als problematisch erweisen, abzulassen.
Das sage ich, weil es in diesem Beitrag nicht darum geht, spekulativ Schuldige zu finden. Erst recht nicht, wenn sie, wie die italienischen Intensivmediziner, bis zur Erschöpfung um das Leben ihrer Patienten kämpfen.
Aber es gibt Hinweise, dass auf den Intensivabteilungen Coronapatienten auch an einer Überdruckbeatmung sterben. Insbesondere dann, wenn die Patienten zuvor intubiert wurden. Dabei wird ein Schlauch, wie bei den meisten Operationen, durch den Kehlkopf in die Luftröhre gelegt. Dies ermöglich bessere Kontrolle und auch höhere Beatmungsdrücke. Doch genau dies führe, laut den Lungenärzten, bei an Viruspneumonie-Erkrankten (virale Lungenentzündung) oft zu einem akuten, tödlichen Lungenversagen (ARDS).
Deshalb plädieren die Lungenärzte in ihrem Statement dafür, einen Patienten mit Covid-19 Viruspneumonie möglichst lange nicht invasiv zu beatmen, also möglichst nicht zu intubieren (NIV/ Nicht-invasive Beatmungstherapie). Auch dann, wenn die abfallende Sauerstoffsättigung normalerweise zu einer Intubation führen würde. Es reicht allermeistens, die Patienten nicht in die Intensivabteilung zu verlegen, sondern mit einer geeigneten Maske Sauerstoff zuzuführen und erstmal zuzuwarten. Oft muss man dann gar nicht beatmen. Somit würde man auch besser einer Überbelastung von Intensivabteilungen entgegenwirken. Denn die an Covid-19 erkrankten und krankenhauspflichtigen Patienten können dann unter bestimmten Umständen, dazu gehören u.a. geeignete Masken, länger auf Normalstation verbleiben und wären besser von den anderen Patienten zu trennen, was in vielen Intensivabteilungen kaum möglich ist. Man muss dazu wissen, dass viele Intensivabteilungen von Anästhesisten geleitet werden, die es gewohnt sind, besonders als Notarzt, Leben eher mit einer frühen Intubation zu retten.
Ein sehr klinikerfahrener Lungenarzt, hat mir gegenüber die Befürchtung geäußert, dass deshalb Anästhesisten bei Viruspneumonien zu früh intubieren. Er schickte mir außerdem dieses Interview. Hier deutet ein italienischer Intensivmediziner an, ohne dass es ihm bewusst ist, dass diese Befürchtung möglicherweise berechtigt ist. Hier ein Zitat:
„Außerdem ist die Beatmungstechnik sehr wichtig. Die ersten Anzeichen einer Verschlechterung in der Blutgasanalyse sind ein Alarmsignal. Die Alveolen fangen dann an zu kollabieren und es braucht eine nicht-invasive Beatmung mit hohem PEEP. Die Lunge öffnet sich recht schnell wieder und ist erstaunlich compliant, nicht wie beim ARDS. Bei weiterer Verschlechterung sollten Sie im Sinne eines ARDS intubieren und beatmen. Es gilt, plötzlichen Verschlechterungen zuvorzukommen: Der Zustand des Patienten kann sich sehr schnell verändern.“
Wie mir einer der Autoren des Statements versicherte, ist es sehr wichtig, dass diese Befürchtung jetzt bei den Leitern der Intensivabteilungen ankommt, und er bat mich um Verbreitung. Sicher ungewöhnlich auf dieser Plattform, aber es sind auch ungewöhnliche Zeiten.
Sie können heute ab 17:05 Uhr auf SWR2 ein Forumgespräch hören, in dem ich Professor Dr. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, diese Frage stellen konnte. Er kannte diese Stellungnahme. Hören Sie selbst.
Hier Auszüge aus dem Statement des Verbandes Pneumologischer Kliniken:
(NIV steht im Text für nicht-invasive Beatmungstherapie)
Auf der anderen Seite gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Viruspneumonie durch CoV-2 unter invasiver Beatmung einen besseren Verlauf nimmt. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass in der aktuellen Phase und insbesondere unter Berücksichtigung etablierter Regeln der Notfall- und Intensivmedizin zu viele Patienten zu früh intubierten werden. Spontanatmung mit und ohne Beatmungsunterstützung sollte so lange wie möglich und unter Berücksichtigung bekannter Kriterien der Krankenversorgung erhalten werden. Der Stellenwert der nicht-invasiven Beatmungstherapie sollte auch bei der Anschaffung und Verteilung von Beatmungsgeräten durch die Regierung im jetzigen Krisenfall Berücksichtigung finden.
Erst wenn die Sättigung deutlich unter 90% fällt, sollte mit einer NIV oder auch High-Flow-Therapie begonnen werden, insbesondere, wenn die Atemfrequenz ansteigt, da sie eine beginnende Ermüdung der Atempumpe anzeigt. Bei hypoxämischer Insuffizienz wird in der Regel auf der IS zu früh beatmet und zu viel Sauerstoff gegeben. Das beschleunigt die Entwicklung eines ARDS (Lungenversagen), denn hohe Beatmungsdrücke schädigen die Alveolen und induzieren eine Entzündung, die dann bei der Infektabwehr fehlt. Ebenfalls führen Sauerstoffkonzentrationen über 50% in der Inspirationsluft zu einer erheblichen Radikallast in der Lunge, die ebenfalls eine Entzündungsreaktion auslöst. Allerdings können diese Werte mit einer Nasensonde oder der Beimischung zur NIV praktisch nicht erreicht werden.
Die Verlegung auf die IS sollte vom Einzelfall abhängig gemacht werden. Nach der klinischen Erfahrung können viele Patienten außerhalb der IS mit einer NIV behandelt werden. Dies ist die primär zu bevorzugende Beatmungsform bei Viruspneumonien. Nach bisherigen Erfahrungen braucht ein großer Teil der Patienten mit SARS-CoV-2 Pneumonien auch nur vorübergehend eine Atemunterstützung. Die Beatmung dieser Patienten außerhalb der IS schützt wertvolle Ressourcen und hilft somit Sekundärschäden durch Platzmangel für die typischen intensivpflichtigen Patienten zu vermeiden.
Vieles dazu wurde bereits 2005 veröffentlicht. Damals wurde empfohlen, einen Pandemievorrat mit Antibiotika, Beatmungsgeräten, Schutzmasken usw. anzulegen. Leider haben das in Deutschland damals nicht viele Krankenhäuser umgesetzt, sodass jetzt Engpässe entstehen konnten. Auf der anderen Seite hat sich die NIV inzwischen breit in den Krankenhäusern (vor allem in den Lungenkliniken) etabliert, so dass hier mehr Beatmungsgeräte als früher zur Verfügung stehen, was die Versorgung außerhalb der IS vereinfacht.
Dr. med. Gunter Frank, geboren 1963 in Buchen im Odenwald, ist niedergelassener Allgemeinarzt in Heidelberg und Dozent an der Business School St. Gallen.
Heute um 17 Uhr SWR 2 Forum mit Dr. Gunter Frank: Hilflose Helfer - Wird unser Medizinsystem zum Notfall? Es diskutieren u.a.: Dr. med. Gunter Frank, Hausarzt/
Prof. Dr. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin/ Prof. Dr. Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates.
Moderation: Burkhard Müller-Ullrich
Am Donnerstag 26.03.2020 ist Dr. Gunter Frank einer der Gäste bei der bekannten österreichischen Talsendung "Talk im Hangar"